Schriften

Bücher

Zahl und Moral. Ein Entwurf

Passagen Verlag / Wien 2014

892 Seiten
ISBN 9783709201329

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BuchcoverIm theoretischen Diskurs werden die Bereiche Mathematik und Ethik gewöhnlich getrennt. Mit dem zunehmenden Eingreifen der immer vollständiger mathematisierten Wissenschaften in das Alltagsleben bricht aber die Frage auf, ob das mathematische Denken in seiner Symbolsprache auch bestimmten Arten menschlichen Handelns Ausdruck gibt, ob mathematische und moralische Normen in gewisser Weise konformgehen.

In seinem vielsträngig angelegten Buch geht Albert Breier den Verflechtungen von Zahl und Moral nach, wie sie sich in verschiedensten Kulturphänomenen der Vergangenheit und der Gegenwart zeigen. Eine  historische und problemgeschichtliche Darstellung öffnet sich dabei in ein großes Panorama der Moderne, die von Breier als Zeitalter der Vereinigung des mathematischen und des moralischen Formalismus beschrieben wird. Der in seinem Dasein ganz von der Zahl beherrschte Mensch der Gegenwart zeigt sich schließlich als Träger einer bestimmten, genau benennbaren Moral, die sein Handeln bis zu den unscheinbarsten Verrichtungen hinab lenkt. Die behauptete Weltlosigkeit der Mathematik erweist sich als Trug, der seinerseits ein ethisches Urteil herausfordert.

Walter Zimmermann. Nomade in den Zeiten

Wolke Verlag / Hofheim 2014

200 Seiten
ISBN 9783955931148

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BuchcoverWalter Zimmermanns so umfangreiches wie eigenständiges Werk eröffnet ein weitgespanntes Panorama kultureller Bezüge. Das vorliegende Buch geht den vielfältigen Verflechtungen von Zimmermanns musikalischer Gedankenwelt nach, in detaillierter Analyse wie in der Darstellung übergreifender Zusammenhänge.

Der Text schlägt dabei, den Intentionen des Komponisten folgend, immer wieder Brücken zwischen Klang und Idee – Brücken, die bei Zimmermann stets in beiden Richtungen begehbar sind.

Die Zeit des Sehens und der Raum des Hörens

Ein Versuch über chinesische Malerei und europäische Musik

Verlag J.B.Metzler / Stuttgart 2002

M&P Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung
Auflage vergriffen, Restexemplare sind beim Autor erhältlich

518 Seiten, 56 Abbildungen
ISBN 3476452662

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BuchcoverDas Buch beschäftigt sich mit der engen geistigen Verwandtschaft zweier Kunstformen, die scheinbar nicht das geringste miteinander zu tun haben. Obwohl die „Musikalität“ der chinesischen Malerei in der Literatur manchmal erwähnt wird, gibt es bisher keine gründliche Untersuchung dieses Sachverhalts.

Der erste Teil legt zu Anfang die theoretischen Fundamente, auf denen die ganze Studie beruht. Die europäische Musik wird als eine Kunstform dargestellt, die, obwohl sie im Medium der Zeit operiert, imaginäre Räume konstruiert. Das genaue Gegenteil trifft auf die chinesische Malerei zu: obwohl sie sich im Raum entfaltet, wird sie von Zeitvorstellungen geprägt. Man kann chinesische Malerei mit Hilfe musikalischer Terminologie beschreiben; genauso ist es möglich, in der Theorie der bildenden Kunst verwendete Kategorien auf die europäische Musik zu übertragen. Es gibt eine ganze Reihe theoretischer Kategorien, die im selben Maße auf die eine wie die andere Kunst angewendet werden können. Dafür werden ausführliche Beispiele gegeben. Der erste Teil schließt mit einer Erörterung der Rolle der chinesischen Malerei innerhalb der Gesamtheit der chinesischen Kultur.

Der zweite Teil beruht auf der grundlegenden Einsicht, daß sowohl chinesische Malerei als auch europäische Musik in ihrer jeweiligen Kultur eine zentrale Stellung einnehmen. Die chinesische Kultur ist schriftbestimmt, die Kalligraphie (der Malerei eng verwandt) nimmt im Kanon der Künste den ersten Rang ein. Die europäische Kultur ist in einem sehr hohen Maße von der Bedeutung des gesprochenen Worts und dessen charakteristischem Klang (Ton) abhängig. Europäische Dichtung und Philosophie sind von der Musik inspiriert, während das chinesische Denken (z.B. im Yijing) die Analyse der sichtbaren Welt zur Voraussetzung hat. Auf einige Implikationen dieser These wird hingewiesen. Die letzten Kapitel befassen sich mit dem gegenwärtigen Zustand und der möglichen Zukunft von chinesischer Malerei und europäischer Musik.

Der dritte Teil ist eine ausführliche Studie einer langen Querrolle von Xiang Shengmo (1597-1658). Dabei wird durchgehend musikalische Terminologie verwendet, um zu zeigen, daß die Anwendung solcher Begriffe auf Werke der chinesischen Malerei nicht nur möglich, sondern in hohem Maße angemessen ist.


In: Musik und Ästhetik, 7. Jahrgang, Heft 27, Juli 2003, Klett-Cotta Stuttgart

Gustav Falke / Verräumlichte Zeit

Albert Breier vergleicht die abendländische Musik mit der chinesischen Malerei im Vorgriff auf eine systematische Ästhetik.

Offenbar haben ästhetische Debatten eine Tendenz, sich an bestimmten Parametern oder Kategorien zu verkeilen – sei es, daß diese sich besonders aufdrängen, sei es, daß damit allgemeinere philosophische Interessen bedient werden. Gegen eine solche Einseitigkeit der ästhetischen Reflexion geht Albert Breier an, wenn er die Musik als eine Kunst nicht der Zeit, sondern des Raumes nimmt.

Raumbildend ist der Kontrapunkt, indem er die zerfließende Folge von immer Neuem vereinheitlicht und zum Werk abschließt. Raumbildend ist vor allem die Tonalität. Der (Dur-)Dreiklang gilt Breier als der Fluchtpunkt der musikalischen Zentralperspektive. Indem alle Klänge nach Ferne oder Nähe zu diesem Fluchtpunkt bestimmt werden können, denken wir sie als in einem idealen Zugleich aufeinander bezogen. Und mit den Mitteln der Tonalität entsteht weiter Form bzw. Architektur. Wir können Bewegung als von einem Ausgangspunkt ausgehend über Zwischenstadien zu einem Zielpunkt sich hinbewegend überschauen. „Ein klassisches Kunstwerk verstehend hören heißt, beständig in die Zukunft hörend nichts Gewesenes je zu vergessen“ (30). Im intellektuellen Raum der abendländischen Musik erfahren wir so die Gerichtetheit der Zeit. Aber wir erfahren sie gerade nicht als Zeit. „Wir bezahlen unsere Erkenntnis der Gerichtetheit mit einem Verlust an direkter Erfahrung des Wesens der Zeit.“ (31). Die tonale Verräumlichung der Musik offenbart und verstellt die Zeiterfahrung im selben Zug.

Um den Verlust zu ermessen, bringt Breier den Vergleich zur chinesischen Malerei herbei. Das klingt weit schräger als es ist. Während die Musik das Vergehen der Zeit partiell aufheben muß, um die Einheit des Werkes zu konstituieren, hat die Malerei das komplementäre Problem. Sie fixiert einen Moment und muß indirekt zu verstehen geben, wo dieser Moment herkommt und wo er hinführt. Bewegungen müssen so präsentiert werden, daß ihr Sinn ersichtlich wird. In der abendländischen Malerei, die zuallererst Historienmalerei gewesen ist, wurde eine hohe Kompositionskunst ausgebildet, den Höhepunkt einer Handlung zu treffen und durch Begleitpersonen, Blicke, Dinge die Situation zu veranschaulichen. Die abendländische Malerei ist aber im gleichen Zug in das Paradox des festgestellten Blickes hineingesteuert, eine Mannigfaltigkeit präzise wiederzugeben, die im Mitvollzug der Handlung so nie aufzufassen wäre. Das ist in der chinesischen Malerei anders. Zum einen komponiert sie die Zeit des Sehens mit. Entweder ist sie auf Rollen aufgetragen, die für den Betrachter schrittweise entrollt und wieder aufgerollt werden, so daß nie das ganze Bild Gegenstand der Betrachtung ist. Oder zumindest gibt es vorgeschriebene Leserichtungen, nach denen wir schrittweise das Dargestellte durchlaufen. Zum anderen werden die Dinge teils in Nebel gehüllt, teils werden sie nur äußerst abbreviiert vom Malgrund abgehoben. So ist das Gewaltsame der fixierten Gegenwart vermieden.

Die Geschichte der abendländischen Musik beherrscht dagegen eine Dialektik des enthüllenden Verbergens der Zeit durch die verräumlichende Tonalität. Für Breier liegt das Urbild der Erfahrung des temps durée im Mitgehen mit einer Melodie. Seine Begeisterung gilt den Alten Niederländern, die, sozusagen als Vorsokratiker der Musik, „im Vertrauen aus die zusammenhangstiftende Kraft des Melodischen“ (37) noch auf tonale Architektur verzichten können. Keineswegs sei an ihnen die Rationalität der kontrapunktischen Künste zu bewundern, „sondern das unermüdlich Suchende des Intellekts, den die noch frische Erinnerung an eine ideale Zeiterfahrung [des gregorianischen Chorals] treibt, die er für immer verloren hat“ (37). Auch in der Wiener Klassik gebe es zwar eine Einheit „der festesten, dauerhaftesten Formen und der improvisatorischen Hingabe an die Gegenwart“ (368). Das habe jedoch nichts mehr mit der Ursprünglichkeit der Melodie zu tun, die im Gegenteil grundsätzlich unklassisch sei, sondern damit, daß hier der Dreiklang zur zweiten Natur werde. Und die zweite Wiener Schule versucht noch einmal, die immer punktueller werdenden Gesten durch die Erinnerung an tradierte Formen zusammenzubinden. „Indem die abendländische Musik die Herrschaft des Raums in der Zeit errichten wollte, forderte sie gleichsam die Zeit heraus, ihre vernichtende Kraft an der Musik zu erweisen“ (401).

Man muß die Strenge dieser geschichtsphilosophischen Konstruktion nicht mitmachen, um von der analytischen Kraft der Beobachtung überzeugt zu werden, daß Musik erst zum Werk werden kann, indem das Fließen einer vergegenständlichenden Ordnung unterworfen, indem die Zeit verräumlicht wird. Näher wäre dann zu sehen, wie die besseren Komponisten Formwahrnehmung ermöglichen, ohne die Musik zur bloßen Erfüllung eines vorgegebenen Schemas herabkommen zu lassen. Es ist ja völlig richtig, daß die Existenz von Partituren die Illusion einer idealen Gleichzeitigkeit weckt, während real erklingende Musik die Form im Wechselspiel von Pro- und Retentionen, von Erwartung und Erinnerung erzeugen muß. Und wie sie das macht, müßte der Analyse zugänglich sein. Ernst Kurth hat hier vieles beigetragen. Auch für Breier beruht „das Formgefühl eines Komponisten darauf, Form als etwas eben sich Bildendes zu zeigen, Kompositionen, die nach einem (räumlich vorgestellten) Formschema verfertigt wurden, genießen daher zu Recht keine hohe Wertschätzung“ (32). Mozarts kunstvolle Asymmetrien werden genannt. Und gerade was Breier an der chinesischen Malerei lobt, daß „das Auftauchen und Verschwinden deutbarer Formen ganz unmerklich geschieht“ (44), könnte man auch an Mozarts Kunst des Anfangens und Schließens zeigen.

Freilich handelt es sich hier weder um eine philosophische noch um eine musikwissenschaftliche Untersuchung. „Mein Versuch ist mit dem Handwerk des Künstlers geschrieben (und soll in erster Linie auch als Kunstwerk beurteilt werden)“ (20). „Das schriftstellerische Ideal dieses Buches sind die sogenannten Pinselnotizen chinesischer Autoren: eine literarische Form, die einzelne, oft scheinbar unzusammenhängende Bemerkungen verschiedenster Art aneinanderreiht“ (23). Wer es als Denktagebuch eines über die Möglichkeit zeitgenössischer Musik sinnenden Künstlers nimmt, wird umherblättern und vertraute Probleme aus einem neuen Blickwinkel betrachten. Systematisch ist das alles schon deshalb nicht, weil es von der großen Liebe und Verehrung des Autors zu einer Musik zeugt, die im gleichen Zug als säkularer Irrweg dargestellt wird.

Weitere Veröffentlichungen

Živá hudba ♯, Juni 2015, Text lesen

Walter Zimmermann

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